Brennnessel

Wissenschaftlicher Name: Urtica dioca, Urtica urens
Pharmazeutischer Name: Urticae folium, Urticae radix, Urticae semen
Synonyme: Donnernessel, Hanfnessel, Saunessel
Familie: Urticaceae (Brennnesselgewächse)

Heimat & Botanik

Die fast überall auf der Welt anzutreffende Brennnessel gedeiht auf stickstoffreichen Böden. Man unterscheidet bis zu siebzig Arten der Brennnesselgewächse. Medizinisch werden die große (Urtica dioca) und die kleine Brennnessel (Urtica urens) genutzt. Die große Brennnessel wird bis zu drei Meter hoch, die kleine nur etwa einen halben Meter.

Das Kraut verfügt über ein Rhizom, über das es nicht nur überdauert, sondern sich auch ausbreitet. Es wächst bei der großen Brennnessel bis zu siebzig Zentimeter in die Tiefe. Alle oberirdischen Pflanzenteile sind mit leicht zerbrechlichen Haaren versehen. Sie geben bei Berührung einen stark reizenden Inhalt ab, der Fressfeinde fern halten soll.

Die Blätter setzen kreuzgegenständig an den oftmals vierkantigen und verzweigten Stängeln an. Sie sind lanzettförmig bis elliptisch und spitz zulaufend. Ihr Rand ist gezähnt. Die Blätter der großen Brennnessel sind bis zu zwanzig Zentimeter lang und können dreizehn Zentimeter breit werden. Am Grund ist ihre Blattspreite herzförmig. Die Laubblätter der kleinen Brennnessel sind dagegen nur fünf Zentimeter lang; ihre Blattspreite ist nicht herzförmig zugespitzt, sondern stumpf. In den Achseln der Brennnesseltriebe bilden sich ähren- oder rispenähnlichen Blütenstände mit den unauffälligen Blüten.

Das anhaltende Brennen, die schmerzhafte Schwellung und die Rötung auf der Haut nach dem Kontakt gaben der Pflanze mit "Brenn" im Deutschen und mit "Urtica" in der botanischen Bezeichnung ihren Namen. "Nessel" heißt sie, weil man aus ihren Fasern einst das gleichnamige Gewebe hergestellt hat.

Eigenschaften & Geschmack

Eigenschaften

Brennesselblätter, -samen und -wurzel

  • warm-neutral

Geschmack

Brennesselblätter

  • fad, süß, adstringierend, leicht salzig

Brennnesselsamen

  • süß, nussig

Brennnesselwurzel

  • fad, süß, adstringierend

Die Wirkung des Geschmacks wird in den Theoretischen Grundlagen erläutert.

Wirkungen & Indikationen in der chinesischen Medizin

Brennnesselblätter (Urticae folium)

Tropismus: Leber, Niere, Blase, Milz, Lunge

Tonikum

Blut-Tonikum

  • Anämie, Erschöpfung, Rekonvaleszenz, Amenorrhö, Mangel an Muttermilch, Laktationsinsuffizienz, Erkrankungen der Sehnen und Bänder, Haarausfall, frühes Ergrauen der Haare, trockene Augen, Mouches volantes, Nachtblindheit

Weiqi-Tonikum

  • Allergien, Heuschnupfen, allergische Konjunktivitis, allergische Hauterkrankungen

Nässe ausleitendes Kraut

Kraut, das das Milz-Yang und den San Jiao behandelt

  • Ödeme, Lipödem, Hypertonie

Kraut, dass das Blasen-Qi behandelt

  • Öffnet die Wasserwege: Ödeme, Nierengrieß, Zystitis

Wind und Nässe eliminierendes Kraut

  • chronisches Bi-Syndrom: Rheuma, Gicht, Arthrose
  • Ischialgie, Lumbalgie

Brennnesselsamen (Urticae semen)

Tropismus: Leber, Niere, Milz, Lunge

Tonikum

Blut-Tonikum

  • Anämie, Erschöpfung, Rekonvaleszenz, Amenorrhö, Mangel an Muttermilch, Laktationsinsuffizienz, Erkrankungen der Sehnen und Bänder, Haarausfall, frühes Ergrauen der Haare, trockene Augen, Mouches volantes, Nachtblindheit

Yin-Tonikum

  • Kräftigung in der Rekonvaleszenz, Burn Out, Haarausfall, Osteoporose, Infertilität

Qi-Tonikum

  • Milz-Qi Tonikum: Müdigkeit, Erschöpfung

Weiqi-Tonikum

  • Allergien  

Brennnesselwurzel (Urticae radix)

Tropismus: Niere, Blase, Milz

Tonikum

Yang-Tonikum

  • stärkt die Haltefunktion bei Polyurie
  • Miktionsbeschwerden
  • Libidomangel, Potenzstörungen

Adstringierendes Kraut

Nieren-Qi festigendes Kraut

  • stärkt Haltefunktion bei Polyurie

Nässe ausleitendes Kraut

Kraut, dass das Blasen-Qi behandelt

  • Öffnet die Wasserwege, Restharn
  • Benigne Prostatahypertrophie

Kraut, das das Milz-Yang und den San Jiao behandelt

  • Lipödem

Wind und Nässe eliminierendes Kraut

  • chronisches Bi-Syndrom: Rheuma, Gicht

Ausführlich werden die Kategorien unter Kategorien & Rezepturen vorgestellt. Dort werden auch weitere Pflanzen gelistet, die wir der jeweiligen Kategorie zugeordnet haben.

Anwendung

Infus

Blätter

  • 2 - 4 g pro Tasse (1 TL = 0,7 g; 1 EL = ca. 2,2 g)
  • abgedeckt 10 Minuten ziehen lassen
  • 3 - 6 x täglich 1 Tasse
  • Tagesdosis 8 - 12 g
  • Anwendung bis zu 4 Wochen

Wurzel

  • 2 g pro Tasse (1 TL = ca. 1,3 g)
  • abgedeckt 15-20 Minuten ziehen lassen
  • 2 - 3 x täglich 1 Tasse

Trockenextrakt

Blätter und Wurzeln

  • Dosierung je nach Auszugsverfahren gemäß Herstellerangaben
  • Anwendung bis zu 4 Wochen

Fluidextrakt

Blätter (1:5 Extrakt)

  • 30 - 40 Tropfen oder nach Herstellerangaben
  • 3 - 4 x täglich
  • Anwendung bis zu 4 Wochen

Wurzel (1:1 Extrakt)

  • 30 - 40 Tropfen oder nach Herstellerangaben
  • bis zu 4 x täglich
  • Tagesdosis bis zu 120 Tropfen

Tinktur

  • Dosierung nach Herstellerangaben

Pflanzenpressaft

  • 3 x täglich 10 ml mit etwas Wasser

Samen

  • 1-3 TL pro Tag in einem Getränk (1 TL = ca. 1,6 g)
    Man kann die Samen vor der Anwendung in einer Mühle oder einem Mixer zerkleinern. Alternativ kann man sie in einem Getränk quellen lassen.

Wir setzten Heilpflanzen in der Regel nicht als Einzeldroge, sondern gemeinsam mit anderen Heilpflanzen ein; wie wir sie kombinieren, ist im Abschnitt “Rezepturenlehre” erläutert. Informationen zu den verschiedenen Darreichungsformen sind in der Rubrik "Theoretische Grundlagen" hinterlegt. 

Nebenwirkungen

Brennnesselblätter

  • gastrointestinale Beschwerden wie Übelkeit und Völlegefühl, Flatulenz und Diarrhö
  • allergische Reaktionen mit Urtikaria und Pruritus
  • Beim Autreten von Rötungen und Schmerzen im Gelenk mit Fieber ist ein Arzt oder eine Ärztin aufzusuchen.
  • Beim Auftreten von Dysurie mit Fieber, Spasmen und Hämaturie ist eine Ärztin oder ein Arzt zu konsultieren.

Brennnesselwurzel

  • gastrointestinale Beschwerden wie Übelkeit und Völlegefühl, Flatulenz und Diarrhö
  • allergische Reaktionen mit Urtikaria und Pruritus

Vorsicht

Bisher fehlen Erkenntnisse und Daten zur Sicherheit der Anwendung in Schwangerschaft und Stillzeit sowie bei Kindern und Jugendlichen unter 12 Jahren. 

Kontraindikationen

  • Unverträglichkeit
  • verminderte Flüssigkeitsaufnahme aufgrund einer Herz- oder Nierenerkrankung
  • Die Wurzel ist in der Schwangerschaft und Stillzeit nicht indiziert.

Mögliche Wechselwirkungen mit Arzneistoffen

Brennnesseln können unter Umständen die Wirkung von Antihypertensiva verstärken. Zudem können die Pflanzenstoffe möglichweise die Aktivität von Leberenzymen und so die Bioverfügbarkeit von Arzneistoffen verändern. 

Im Falle einer geplanten gemeinsamen Anwendung zusammen mit Arzneistoffen sollten Nutzen und Risiken gemeinsam mit der behandelnden Ärztin bzw. dem behandelnden Arzt abgewogen werden.

Pflanzenstoffe

Blätter

Flavonoide

  • Amentoflavone, Apiin, Apigeninderivate, Baicalin, Baicalein, Chrysoeriol, Genestein, Isorhamnetin, Kaempferolderivate, Luteolinderivate, Myrecetin, Naringenin, Quercetinderivate, Rutin, Vitexin

Phenolcarbonsäuren und andere Pflanzensäuren

  • Hydroxybenzoesäurederivate wie Gallus-, Syringin-, Vanillinsäure
  • Zimtsäurederivate wie Chlorogen-, Ferula-, Kaffee-, p-Cumar-, Zimtsäure
  • Organische Säuren wie Ameisen-, Essig-, Zitronensäure

Gerbstoffe

  • Catechin, Epicatechin, Epigallocatechingallat

ätherisches Öl

  • Carvacrol, Carvon, Cuminaldehyd, Hexanal, Linalool, Phytol

Proteine ca. 33 %

  • Aminosäuren wie Alanin, γ-Aminobuttersäure (GABA), Glutaminsäure, Isoleucin, Leucin, Phenylalanin, Prolin, Tyrosin, Valin

Kohlenhydrate ca. 37 %

  • Glucose, Inositol, Rhamnose, Sucrose

Fettsäuren 3-4 %

  • Arachidon-, Lauren-, Palmitin-, Stearinsäure

Carotinoide

  • β-Carotin, Lutein, Neoxanthin, Violaxanthin

Vitamine 

  • A, B1, B2, B3, B6, C, K, Cholin

Mineralstoffe 

  • Calcium, Eisen, Kalium, Kupfer, Magnesium, Mangan, Selen, Zink, Phosphor

Ballaststoffe ca. 9 %

Wurzel

Flavonoide 

  • wie Isorhamnetin, Kämpferol, Myricatin, Quercetin, Rutin

Lektine

Lignane 

  • wie Isolariciresinol, Neoolivil, Pinoresinol, Secoisolariciresinol

Sterole 

  • wie Campesterol, Sitosterol und Stigmasterol

Mineralstoffe 

  • wie Calcium, Kupfer, Magnesium, Mangan, Zink

Proteine

  • essentielle Aminosäuren wie Cystein, Glycin, Tryptophan

Phenolcarbonsäuren 

  • wie Kaffeesäurederivate

Cumarine

  • Scopoletin

Fettsäuren 

  • wie Linol-, Linolen-, Öl-, Stearinsäure
  • Ceramide: Säureamide von Fettsäuren mit Polyhydroxyalkylaminen

Polysaccharide 

Samen

Proteine ca. 45 % 

  • vor allem Asparagin, Arginin, Glutaminsäure

Fettsäuren

  • vor allem Linolsäure

Carotinoide

  • ß-Carotin,  Lutein

Polysaccharide

  • Schleimstoffe

Vitamin E

Ausführlich werden die Pflanzenstoffgruppen unter Pflanzenstoffe A-Z vorgestellt.

Mögliche pharmakologische Wirkungen

Blätter und Wurzel

  • antiinflammatorisch
  • antioxidativ
  • antiproliferativ
  • antidiabetisch
  • antibakteriell
  • ulkusprotektiv
  • kardioprotektiv
  • vasoprotektiv
  • antihypertensiv
  • durchblutungsfördernd
  • diuretisch
  • neuroprotektiv
  • knochenprotektiv
  • antiallergisch
  • analgetisch
  • entgiftend
  • zytoprotektiv

Samen

  • antiinflammatorisch
  • nährend
  • remineralisierend

Geschichte & Mythologie

Für die Kelten symbolisierte die Brennnessel den "Grünen Mann"; er war nach ihrem Verständnis der Partner der Erdgöttin und vertrieb alljährlich den eisigen Winterkönig. Die Germanen nannten die Brennnessel Donnernessel, weil sie dem Gewittergott Donar geweiht war, der auch als Thor bekannt ist. Er war zugleich Gott der Fruchtbarkeit. In der Antike brachte man die Brennnessel dann mit Mars in Verbindung, sowohl mit dem Planeten als auch mit dem Kriegsgott. Für die Germanen wie für die Römer war einerseits das "aggressive Verhalten" der Brennnessel Anlass Analogien zu Blitz und Donner bzw. Kampf und Krieg herzustellen. Andererseits inspirierte unter anderem die hitzige Affäre zwischen Mars und Aphrodite, der Göttin der Liebe, die damaligen Zeitgenossen. Dementsprechend nutzte man die Brennnessel, um die Fruchtbarkeit von Frauen und die männliche Potenz zu stärken. Die Römer fügten Brennnesselsamen deshalb dem Wein zu, was zu Folge hatte, dass der Genuss der Samen in Klöstern verboten wurde.

Bräute und Kranke mussten lange Zeit auf Brennnesseln urinieren. Anschließend beobachtete man die Pflanze: Welkte sie, unterstellte man der Frau, dass sie ihre Jungfräulichkeit bereits verloren hat, bei Kranken prognostizierte man so den nahen Tod.

Man nutzte die Brennnessel aber auch um Unheil abzuwehren, räucherte die Ställe mit Brennnessel aus, ließ das Vieh auf ihr schlafen oder fügte sie Misthaufen zu. In einigen Gebieten vermutete man, dass die Heinzelmännchen in den Brennnesseln wohnen.

Quellen